Kinderrechte im Grundgesetz – Bedeutungslose Signalpolitik oder Meilenstein?

Kinderrechte im Grundgesetz bedeuten mehr als nur ein Signal. Sie bedeuten mehr als – wie so oft geschimpft – „Sammelsurium“ an Wünschen und Vorsätzen. Die Diskussion erinnert an die Entstehung des Art. 3 Abs. 2 GG, den Gleichberechtigungsgrundsatz von Mann und Frau. Auch dieser wurde vor seiner Verabschiedung in heutiger Form am 18. Januar 1949 zunächst zweimal im zuständigen Ausschuss abgelehnt.  Die Argumente waren ähnlich: Die Gleichberechtigung von Frauen sei bereits durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet. Der Absatz 2 liefe in Leere. Es handele sich vielmehr, wie schon für Art. 109 WRV behauptet worden war, „um einen Programmsatz, einen politischen Begriff oder eine leere Formel, jedenfalls um eine Bestimmung ohne greifbaren Inhalt“, (BVerfG3, S. 239 vom 18.12.1953). Dieser sei nicht geeignet, konkrete Streitigkeiten zu lösen. Heute, mehr als 60 Jahre später, stellt niemand mehr die Erforderlichkeit und Sinnhaftigkeit des Gleichberechtigungsgrundsatzes in Frage.

Kinder haben Rechte. Unsere Verfassung kennt Kinderrechte. Aber diese sind scheinbar unsichtbar im Art. 2 Abs. 1 GG verborgen. Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist kinderrechtsspezifisch nach den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) auszulegen und wird auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend konkretisiert. Doch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Kinderrechte in der Gerichts- und Verwaltungspraxis immer noch nur ungenügend Berücksichtigung finden.

Die drei Kernprinzipien der KRK um die es geht sind der Vorrang des Kindeswohls (Art. 3 Abs. 1 KRK), das Recht auf Entwicklung (Art. 6 Abs. 2 KRK) und das Recht auf Beteiligung (Art. 12 Abs. 1 und 2 KRK). Diese Kernprinzipen, die nach geltender Rechtslage lediglich als einfaches Bundesgesetz gelten, gilt es auszugestalten, zu konkretisieren und zu Ankern in unserer Verfassung zu machen.

Der oft erhobene Einwand, dass damit das Elternrecht beeinträchtigt oder gar in das Eltern-Kind-Gefüge eingegriffen würde, ist unzutreffend. Die Aufnahme der Kindergrundrechte beträfe lediglich das Verhältnis Staat-Kind und ist nicht darauf ausgelegt, Kompetenzen von Eltern auf den Staat oder umgekehrt zu übertragen.

Auch dass die Aufnahme der Kinderrechte keine wirkliche Veränderung mit sich brächten, ist eine oberflächliche Betrachtung. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen die Verankerung der Kindergrundrechte eine spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse von Kindern bewirken würden. Sind Kinder derzeit in Art. 6 des Grundgesetzes als Erziehungsobjekt der Eltern erwähnt, könnten Kinder so zukünftig ein Mitsprache- und Beteiligungsrecht in gerichtlichen Verfahren erhalten, in denen sie bis jetzt zwar gehört aber nicht immer auch vertreten werden. Es wird über sie verhandelt aber nicht mit Ihnen. Auch die im Zuge der Corona-Pandemie zu Lasten von Kindern und Jugendlichen ergriffenen Maßnahmen wie Schulschließungen, Vereinssportverbot und Schließung von Betreuungs- und Beschäftigungsstätten, mussten sich zwar an Grundrechten wie z.B. dem des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG messen lassen, jedoch blieben die Rechte der Kinder allenfalls als Teil einzelner Grundrechte mitberücksichtigt. Ein eigenständiges Gegengewicht konnten sie so nicht bilden. Zweifelsohne wären den Forderungen und Rechten eine höhere Schlagkraft verliehen, wenn sich diese unmittelbar aus der höchsten unserer Werteordnung ergäben.

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