Arbeitszeiterfassung neu geregelt: Wichtige Hinweise

In der deutschen Arbeitswelt herrscht derzeit Verunsicherung zum Thema Arbeitszeiterfassung. Während bestimmte Aufzeichnungspflichten schon lange bestehen, fehlt es noch immer an einem konkreten Gesetz zur vollständigen Umsetzung der europäischen Vorgaben. Dieser Schwebezustand führt zu Halbwissen und Irrtümern bei allen Beteiligten. Der folgende Artikel beleuchtet die aktuellen gesetzlichen Anforderungen, klärt über Missverständnisse auf und gibt einen Ausblick auf kommende, aber noch nicht beschlossene Entwicklungen. Erfahren Sie, welche Pflichten bereits heute gelten, welche Erfassungsmethoden derzeit rechtlich zulässig sind und welche Änderungen sich durch einen vorliegenden Gesetzesentwurf in Zukunft ergeben könnten.  

Rechtliche Ausgangslage: Was bereits heute gilt

Das deutsche Arbeitszeitgesetz schreibt seit langem vor, dass Arbeitszeiten über acht Stunden am Tag zu dokumentieren sind. Diese Grundregel ist nicht neu, wurde jedoch durch wichtige Gerichtsentscheidungen präzisiert und erweitert. Wegweisend war insbesondere das sogenannte “Stechuhr-Urteil” des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019 (Az. C-55/18), das alle EU-Mitgliedstaaten zur Einführung eines “objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung” verpflichtet.  

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese europäische Vorgabe 2022 konkretisiert und entschieden, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit systematisch zu erfassen sind (Az. 1 ABR 22/21). Nach Auffassung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts ergibt sich diese Verpflichtung bereits aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).  

Die praktische Konsequenz: Unternehmen sind grundsätzlich bereits heute verpflichtet, ein Zeiterfassungssystem zu implementieren – unabhängig davon, ob ein spezifisches Umsetzungsgesetz existiert oder nicht. Diese Verpflichtung gilt für nahezu alle Arbeitsverhältnisse, mit wenigen Ausnahmen wie etwa für leitende Angestellte.  

Erfassungsmethoden: Von der Stempeluhr bis zur App

Eine häufig gestellte Frage betrifft die Art und Weise der Arbeitszeiterfassung. Aktuell schreibt kein Gesetz eine bestimmte Form der Erfassung vor. Arbeitgebern steht es somit frei, das für ihren Betrieb passende System zu wählen, solange es objektiv, verlässlich und zugänglich ist:  

  • Traditionelle Stempeluhren und elektronische Zeiterfassungssysteme
  • Excel-Tabellen oder andere digitale Aufzeichnungen
  • Spezielle Zeiterfassungs-Apps
  • Handschriftliche Aufzeichnungen (insbesondere in kleineren Betrieben)  

Wichtig ist, dass das gewählte System die täglichen Arbeitszeiten objektiv und verlässlich dokumentiert. In vielen Produktionsbetrieben sind Zeiterfassungssysteme wie Stempeluhren seit Jahren Standard. Bürobetriebe müssen hingegen oft erst geeignete Lösungen implementieren.  

Zu beachten ist jedoch: Ein Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums von 2023 sieht vor, die elektronische Zeiterfassung zukünftig zum Regelfall zu machen. Dieser Entwurf ist aber noch kein geltendes Gesetz. Nach diesem Entwurf soll die elektronische Erfassung für Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitenden verpflichtend werden (mit Übergangsfristen), während für Kleinbetriebe (bis 10 Mitarbeitende) die manuelle Erfassung weiter ausreichen soll. Die Umsetzung dieses Entwurfs steht noch aus und kann sich verzögern.

]Besondere Konstellationen: Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt unabhängig vom Arbeitsort. Auch Beschäftigte im Homeoffice müssen ihre Arbeitszeiten dokumentieren. Dies stellt Unternehmen vor praktische Herausforderungen, da klassische Stempelsysteme hier nicht funktionieren. Mobile Apps oder webbasierte Lösungen bieten sich als praktikable Alternative an.  

Besonders diskutiert wird die Vereinbarkeit von Arbeitszeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit. Die Vertrauensarbeitszeit – ein Modell, bei dem Beschäftigte ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich gestalten können – steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Erfassungspflicht. Allerdings müssen auch hier die gesetzlichen Vorgaben zu Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten und der Beginn, das Ende sowie die Dauer der Arbeitszeit dokumentiert werden.  

Die aktuelle Tendenz in der politischen Diskussion geht dahin, die tägliche Höchstarbeitszeit möglicherweise zugunsten einer wöchentlichen Betrachtung zu flexibilisieren (siehe Ausblick). Dies könnte mehr Spielraum für flexible Arbeitszeitmodelle eröffnen, ohne den grundsätzlichen Schutzgedanken aufzugeben.  

Kontrollen und Sanktionen: Wie wird die Einhaltung überprüft?

Die systematische Kontrolle der Arbeitszeiterfassung findet derzeit nur begrenzt statt. Die zuständigen Aufsichtsbehörden konzentrieren sich primär auf die Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und verhängen bei Verstößen entsprechende Bußgelder. Eine flächendeckende Überprüfung der Erfassungssysteme selbst existiert momentan nicht.  

Dies bedeutet jedoch nicht, dass Unternehmen die Vorgaben ignorieren können. Bei anlassbezogenen Kontrollen, etwa nach Beschwerden von Mitarbeitern oder bei Arbeitsunfällen, wird auch die korrekte Arbeitszeiterfassung überprüft. Verstöße gegen die bereits bestehende Pflicht zur Implementierung eines Systems nach § 3 ArbSchG können dann als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit Bußgeldern belegt werden. Zudem bietet eine mangelhafte Zeiterfassung potenziellen Angriffsfläche für arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen, etwa bei Überstundenvergütung oder Einhaltung von Ruhezeiten.  

Praxisbeispiel: IT-Unternehmen mit flexiblem Arbeitszeitmodell

Die Software Solutions GmbH mit 45 Mitarbeitern praktizierte jahrelang ein reines Vertrauensarbeitszeitmodell ohne systematische Zeiterfassung. Nach dem BAG-Urteil führte das Unternehmen eine webbasierte Lösung ein, die sowohl am Arbeitsplatz als auch mobil genutzt werden kann. Die Mitarbeiter erfassen Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit sowie Pausen über eine App oder den Browser. Um die Akzeptanz zu erhöhen, wurde das System mit den Beschäftigten gemeinsam ausgewählt. Ein wichtiger Aspekt: Die Zeiterfassung dient primär der Dokumentation gesetzlicher Vorgaben und nicht der Leistungskontrolle. Die flexible Gestaltung der Arbeitszeit bleibt im Rahmen der betrieblichen Vereinbarungen möglich. Nach anfänglicher Skepsis wurde das System gut angenommen, da es auch für die Mitarbeiter mehr Transparenz über ihre tatsächlichen Arbeitszeiten schafft.  

Ausblick: Was bringen die (möglichen) zukünftigen Änderungen?

Der aktuelle Koalitionsvertrag sah Änderungen vor, und ein Referentenentwurf von 2023 konkretisiert diese Pläne. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass dies geplante Änderungen sind, die noch nicht in Kraft getreten sind und deren genauer Zeitpunkt der Umsetzung ungewiss ist (voraussichtlich nicht vor Ende 2025/Anfang 2026). Die wesentlichen Punkte des Entwurfs sind:

Geplante Digitalisierung der Zeiterfassung

Es zeichnet sich ab, dass mittelfristig die elektronische Zeiterfassung zum Standard werden soll, wie im Entwurf vorgesehen. Für kleinere Unternehmen (bis 10 Mitarbeiter) soll die manuelle Erfassung aber möglich bleiben. Für größere Unternehmen sind im Entwurf Übergangsfristen geplant, um den Umstellungsaufwand zu bewältigen.  

Diskutierte Wochenarbeitszeit statt täglicher Höchstarbeitszeit

Eine diskutierte Flexibilisierung betrifft die mögliche Ablösung der täglichen Höchstarbeitszeit von acht bzw. zehn Stunden durch eine wöchentliche Betrachtung von maximal 48 Stunden im Durchschnitt. Dies würde mehr Spielraum für die tägliche Arbeitszeitgestaltung bieten, müsste aber im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie stehen und ist noch nicht beschlossen.  

Geplante Sonderregelungen für Vertrauensarbeitszeit

Der Gesetzesentwurf deutet an, wie Vertrauensarbeitszeit unter Beibehaltung der Erfassungspflicht gestaltet werden könnte. Die genaue Ausgestaltung und ihre praktische Umsetzbarkeit bleiben abzuwarten, bis das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird.  

Praxisbeispiel: Handwerksbetrieb mit verschiedenen Arbeitssituationen

Die Schreinerei Holzmann mit 12 Mitarbeitern stand vor der Herausforderung, dass ihre Beschäftigten teils in der Werkstatt, teils auf Baustellen arbeiten. Nach Beratung mit der Handwerkskammer entschied sich der Betrieb für eine zweistufige Lösung:  

  • In der Werkstatt: Einfaches elektronisches Terminal zur An- und Abmeldung
  • Auf Baustellen: Mobile App mit Offline-Funktion Die anfänglichen Investitionskosten von etwa 3.800 Euro wurden durch verbesserte Projektkalkulationen und präzisere Rechnungsstellung schnell kompensiert. Zudem reduzierte sich die Zeit für die monatliche Lohnabrechnung erheblich.  

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Pflicht zur systematischen Arbeitszeiterfassung ist bereits heute Realität, auch wenn die gesetzliche Konkretisierung (insbesondere zur elektronischen Form) noch aussteht. Arbeitgeber tun gut daran, sich proaktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und passende, rechtskonforme Lösungen zu implementieren.  

Empfehlungen für Arbeitgeber

  • Bestandsaufnahme durchführen: Prüfen Sie Ihre aktuellen Methoden der Arbeitszeiterfassung auf Rechtskonformität (Erfassung von Beginn, Ende, Dauer).  
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  • Passende Systeme evaluieren: Wählen Sie ein Erfassungssystem, das zu Ihrer Betriebsstruktur und -kultur passt und die aktuellen Anforderungen erfüllt. Berücksichtigen Sie dabei moderne Arbeitsformen wie Homeoffice.
  • Mitarbeiter einbeziehen: Informieren Sie frühzeitig und umfassend über die Notwendigkeit und die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung, um Akzeptanz zu schaffen.  
  • Betriebsvereinbarung erwägen: Regeln Sie Details zur Arbeitszeiterfassung idealerweise in einer Betriebsvereinbarung, sofern ein Betriebsrat existiert. 

Empfehlungen für Arbeitnehmer

  • Rechte und Pflichten kennen: Informieren Sie sich über die gesetzlichen Regelungen zu Arbeitszeiten und deren Erfassung.  
  • Korrekte Dokumentation: Nutzen Sie die bereitgestellten Systeme gewissenhaft – auch zu Ihrem eigenen Schutz.  
  • Bei Unklarheiten nachfragen: Bei Fragen zur Handhabung der Zeiterfassung wenden Sie sich an Vorgesetzte oder den Betriebsrat. 

Die Arbeitszeiterfassung muss nicht als bürokratische Last verstanden werden. Richtig implementiert, bietet sie sowohl Arbeitgebern als auch Beschäftigten Vorteile: mehr Transparenz, besserer Gesundheitsschutz und eine faire Basis für Vergütung und Ausgleich von Mehrarbeit. Gleichzeitig können flexible Arbeitsmodelle innerhalb des gesetzlichen Rahmens weiterhin praktiziert werden.  

Die kommenden gesetzlichen Konkretisierungen werden hoffentlich mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen. Bis dahin gilt: Eine pragmatische, aber rechtskonforme Umsetzung der bestehenden Erfassungspflicht ist der beste Weg, um sowohl den gesetzlichen Anforderungen als auch den betrieblichen Bedürfnissen gerecht zu werden

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